Die Publikation „High Potential“ richtet sich an den studierenden Nachwuchs aus den Richtungen Wirtschaftswissenschaften, Wirtschaftsingenieurwesen und Experten für die digitale Transformation. In der Ausgabe 1-17 beantwortet Heidi Steinberger die Berufseinsteigerfrage zum Thema Familie und Karriere.

Erst Vollgas und dann Familie?
Hanna (26): „Ich habe kürzlich das Buch ,Alles auf jetzt: Frauen Mitte 30 über Kinder, Sex und Selbstverwirklichung’ von Christine Färber und Simone Unger gelesen. Darin geht es darum, dass beruflich sehr erfolgreiche Frauen ab einem bestimmten Punkt die zuvor zurückgestellten Themen Partnerschaft und Familiengründung quasi auf Knopfdruck reaktivieren möchten und damit große Probleme haben. Geht Karriere und Familie wirklich gleichberechtigt oder leidet immer ein Teil? Oder ist das die Lösung: Gib mal fünf Jahre
Vollgas im Job, damit du eine gute Position für den Wiedereinstieg erreicht hast, die dir den Ausstieg für ein paar Jahre erlaubt, um eine Familie zu gründen?”

 

Liebe Hanna, zunächst stellt sich mir die Frage, ob es als beruflich erfolgreiche Frau notwendig ist, die Themen Partnerschaft und Familiengründung zwangsläufig zurück zu stellen. Lässt sich während einer erfolgreichen beruflichen Tätigkeit nicht auch eine Beziehung im positiven Sinn (er)leben oder hängt es mit meiner persönlichen Definition über Rolle und Status zusammen?

In diesem Zusammenhang muss noch die Definition von Karriere geklärt werden.
Denken Sie bei Karriere an den Aufstieg zur Vorstandschefin oder eher die vollzeitnahe Langzeit-Berufstätigkeit gegen ein angemessenes Entgelt auf einem Arbeitsplatz mit befriedigenden Anforderungen?
Für mich ist Karriere die berufliche Entwicklung entsprechend der persönlichen Werte und Ziele im Leben und im Beruf. Machen Sie sich bereits als Berufseinsteiger klar, welche Rolle Arbeit in Ihrem Leben spielen darf und welche Priorität die Bereiche Freunde, Freizeit und Familie einnehmen. Setzen Sie sich kritisch und ehrlich mit Ihrer Lebensvorstellung auseinander und entwickeln Sie dazu einen ,Karriereplan’ für die nächsten Jahre. Dieser soll als Orientierung und roter Faden dienen, gibt die Hauptrichtung, Leitplanken und einige Meilensteine vor, schränkt jedoch nie ein – und ist kompatibel mit Ihren Erwartungen an ein erfülltes Privatleben.

Im Kern geht es darum, sich (regelmäßig) zu überlegen, wo man in den nächsten drei bis fünf Jahren beruflich (und auch privat) stehen möchte, wie man dorthin kommt und vor allem, was man für sich und das Unternehmen erreichen möchte. Das verschafft enorme Klarheit.

Der Karriereplan sollte vor allem diese Fragen beantworten:

  • Welche Priorität hat der Job im Vergleich zu anderen Lebensbereichen?
  • Wie sehen die beruflichen Ziele mittel- und langfristig aus?
  • In welchen Funktionen und an welchen Orten möchte ich arbeiten?
  • Welche Unternehmen erscheinen attraktiv und aus welchem Grund?
  • Welche Voraussetzungen muss ich dafür erfüllen und welche Fähigkeiten muss ich ausbauen oder noch trainieren, um dorthin zu gelangen?
  • Welche Werte und Grundsätze sind für mich wichtig und welche ,Opfer’ möchte dafür erbringen?
  • Wie lässt sich das mit meinem Lebensentwurf vereinbaren?

Entscheidend beim letzten Punkt ist, dass es sich wirklich um Ihre Werte und Wünsche handelt – nicht um die Erwartungen anderer. Eine Karriere verläuft meist nur selten linear. Manchmal bedarf es Ausweichrouten. Rückschläge und temporäre Verschlechterungen der eigenen Position gehören ebenso dazu. Seien Sie also wachsam und bereit, auf Veränderungen jederzeit zu reagieren.
Wenn Sie im Beruf eine Aufgabe mit Freude und Leidenschaft ausüben können, so müssen Sie nicht bewusst ,Vollgas’ geben. Ihre Motivation ist spürbar, Ihr Engagement ist etwas selbstverständliches. So festigen Sie Ihre berufliche Positionierung und entwickeln sich zu einem kompetenter Partner im Unternehmen.

Die Entscheidung, eine Familie zu gründen und eine ,Auszeit’ zu nehmen treffen Sie vermutlich nicht einsam im Kämmerchen. Es wird meist eine mit dem Partner getroffene und bewusste Entscheidung sein. Auch hier ist die Klarheit über das verbindende Lebensmodell ratsam, um Konflikten vorzubeugen. Besprechen Sie frühzeitig die gegenseitige Erwartungshaltung an den Lebensentwurf. Die Vereinbarkeit von Karriere und Familie steht
bei vielen Berufstätigen weit oben auf der Prioritätenliste. Arbeitgeber wie auch die Politik haben diese Problematik zu ihrem Thema gemacht. Viele Beschäftigte kennen das: Immer wieder gibt es Phasen im Leben, in denen es schwierig ist, die Anforderungen des Arbeitgebers und die Ansprüche der Familie in Einklang zu bringen. Aber lassen Sie uns ehrlich sein – in den meisten Fällen leidet entweder der Beruf oder die Familie, wenn wir versuchen, beides gleichzeitig zu leben. Erkennen wir an, dass Familienarbeit eine ernstzunehmende, aufwändige und gesellschaftlich existentielle Arbeit ist. Eine perfekte Symbiose der beiden Felder ist aus meiner Erfahrung jedoch nahezu unerreichbar.

Vielleicht finden Sie einen Arbeitgeber, der Lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle anbietet – ein Modell der Zukunft! Wie unterstützend wäre der Gedanke an eine On-Off-Biografie. Einen Lebenslauf, in dem Phasen der Erwerbsarbeit mit Phasen der Familienarbeit wechseln können, von der Gesellschaft getragen und den Unternehmen gefördert. So können dem Fachkräftemangel begegnen und gleichzeitig Menschen Mut zur Familie machen.